Viele Automobilhersteller arbeiten mit «Datenmaklern» zusammen, um detaillierte Betriebsdaten zu sammeln. Diese Fahrdaten werden dann an Versicherungsgesellschaften verkauft. Darauf weist die New York Times (NYT) anhand verschiedener Erfahrungsberichte von Nutzern hin.
Der 65-jährige Kenn Dahl sei auf diese Tatsache aufmerksam geworden, als die Kosten für seine Kfz-Versicherung um 21 Prozent gestiegen seien. Dabei sei er ein vorsichtiger Fahrer und noch nie für einen Unfall verantwortlich gewesen. Auch die Kostenvoranschläge anderer Versicherungsgesellschaften seien hoch gewesen.
Ein Versicherungsvertreter habe ihm gesagt, dass sein LexisNexis-Bericht ein Grund dafür sei. Auf Herrn Dahls Anfrage hin habe LexisNexis ihm einen 258-seitigen «Consumer Disclosure Report» («Bericht zur Offenlegung von Verbraucherdaten») geschickt, den das Unternehmen gemäss dem Fair Credit Reporting Act bereitstellen müsse.
Der Inhalt habe ihn verblüfft: Auf mehr als 130 Seiten sei jede Fahrt, die er oder seine Frau in den vorangegengenen sechs Monaten mit ihrem General Motors (GM) Bolt gemacht hatten, detailliert aufgeführt gewesen. Der Bericht habe die Daten von 640 Fahrten enthalten, deren Anfangs- und Endzeiten, die zurückgelegte Strecke und eine Auflistung aller Geschwindigkeitsüberschreitungen, Vollbremsungen oder starken Beschleunigungen. Das Einzige, was nicht enthalten war, seien die Fahrziele gewesen. Dahls Reaktion:
«Es fühlte sich wie ein Verrat an. (...) Sie nehmen Informationen, von denen ich nicht wusste, dass sie weitergegeben werden, und verarschen uns mit unserer Versicherung.»
LexisNexis ist ein in New York ansässiger globaler Datenmakler mit einer «Risk Solutions»-Abteilung, die für Versicherer Risikoprofile von Verbrauchern erstellt, so die NYT. Das Unternehmen wende sich an die Kfz-Versicherungsbranche und erfasse seit jeher Autounfälle und Strafzettel.
Das Sammeln von Fahrdaten sei heute gängige Praxis, fährt die NYT fort. Manchmal geschehe dies mit dem Wissen und der Zustimmung des Fahrers. Sowohl Fahrzeughersteller als auch Versicherungsgesellschaften hätten Kunden in den letzten Jahren Anreize geboten, an entsprechenden Programmen teilzunehmen. Ziel einer solchen Datenübertragung könnten nutzungsabhängige Versicherungen sein, bei denen die Tarife auf der Grundlage der Überwachung der Fahrgewohnheiten festgelegt werden.
Aber in anderen Fällen sei etwas viel «Heimtückischeres» passiert. Moderne Autos sind internetfähig und viele Hersteller würden in ihren «Connected-Car-Apps» optionale Funktionen anbieten, welche die Fahrweise der Fahrer bewerten. Einigen Fahrern sei vielleicht nicht bewusst, dass die Autohersteller Informationen über ihr Fahrverhalten an Datenmakler wie LexisNexis weitergeben, wenn solche Funktionen aktiviert sind.
Besonders besorgniserregend sei laut NYT, dass einige Fahrer mit Fahrzeugen von General Motors auch dann überwacht worden seien, wenn sie die sogenannte «OnStar Smart Driver»-Funktion nicht aktiviert hatten. Sie hätten behauptet, daraufhin seien ihre Versicherungstarife gestiegen.
Es sei möglich, dass GM-Fahrer unwissentlich im Autohaus angemeldet worden seien. Aus einem Handbuch des Unternehmens gehe hervor, dass Verkäufer Boni für die erfolgreiche Anmeldung von Kunden bei OnStar-Diensten erhalten können.
In jedem Fall seien die Risiken auch für bewusste Teilnehmer alles andere als klar, wie Kritiker bemängeln. Oft gebe es bei der Anmeldung keinen deutlichen Hinweis darauf, dass Dritte Zugriff auf die Fahrdaten erhalten würden. Und die mit Gesetzestexten gefüllten Richtlinien der Autohersteller, ihrer vernetzten Dienste und ihrer Apps seien für die Verbraucher oft unmöglich zu verstehen.
Letztlich gehe es nur darum, Geld zu verdienen, wird Jen Caltrider zitiert. Die Forscherin bei Mozilla meint, die Autofirmen seien wirklich gut darin, diese Funktionen mit dem Argument der Sicherheit zu verkaufen. Dies bestätige laut NYT die Aussage eines Mitarbeiters, der mit GMs Smart Driver-Programm vertraut sei. Er habe angegeben, dass die jährlichen Einnahmen des Unternehmens aus dem Programm im Millionenbereich lägen.
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