Seit etwa einem Jahr wird immer wieder behauptet, die vielen Covid-Kranken würden die deutschen Krankenhäuser an die Belastungsgrenze bringen. Das ist einer der Hauptgründe für die Lockdown-Massnahmen: Der Zusammenbruch des Gesundheitssystems muss verhindert werden! Wer würde dem nicht zustimmen?
Aber stimmt die zugrundeliegende Behauptung?
Eine Tatsache ist unwidersprochen: In deutschen Krankenhäusern sind viele Pflegekräfte chronisch überlastet. Diese Tatsache ist seit vielen Jahren bekannt, und diese Situation besteht nicht erst seit Corona, wird aber dadurch verschärft.
Wie sieht nun die Bettenbelegung auf deutschen Intensivstationen aus? Man kann sich jederzeit selbst beim DIVI-Intensivregister ein Bild machen. Hier wird seit April 2020 die Belegung der Intensivstationen erfasst.
Abbildung 1: Bettenbelegung deutscher Intensivstationen
Erklärung der Grafik
Der unterste Bereich (blaugrau) stellt die belegten Intensivbetten dar. Man sieht, dass die Belegung von Juni 2020 bis heute nur einen sehr leichten Anstieg zeigt (im Bereich von 20’000 belegten Betten). Covid-19 kann auf jeden Fall nicht die Ursache für eventuell dramatische Zustände in den Krankenhäusern sein. Man sieht auch keinerlei Effekt der stark schwankenden Anzahl von Covid-19-Fällen auf den Intensivstationen - siehe auch Abbildung 6 in diesem Artikel von Multipolar.
In der Mitte der Abbildung (himmelblau) sind die freien Intensivbetten dargestellt. Hier sieht man in der Tat eine deutliche Abnahme. Im Mai 2020 gab es noch etwa 11’000 freie Betten, ein Jahr später gibt es nur noch etwa 3000 freie Betten.
Zwei Sprünge fallen auf: Anfang August gab es eine plötzliche Abnahme um circa 2000 freie Betten. Grund: Die sogenannte Pflegepersonaluntergrenze wurde wieder in Kraft gesetzt. Das heisst, dass ein Krankenhaus nur Betten auf der Intensivstation als frei melden darf, für die auch Pflegekräfte vorhanden sind. Benötigt wird eine Pflegekraft für 2,5 bzw. 3,5 Patienten (tags/nachts). Es waren also offenbar nicht genug Pflegekräfte vorhanden.
Die Betten sind vorhanden, aber nicht die Pflegekräfte, um diese als «betreibbar» zu melden. Ab Januar 2021 gelten noch strengere Untergrenzen: Zwei beziehungsweise drei Pflegekräfte pro Intensivbett.
Hier kommt die Notfallreserve (oberste Kurve, blassgrün) ins Spiel: Ab Anfang August 2020 gab es konstant immer mindestens 10’000 Intensivbetten, die innerhalb von sieben Tagen aktiviert werden können. Betten wurden also umdeklariert von «frei» zu «Notfallreserve».
Nachfolgend nahmen die freien Betten von November 2020 bis zum Jahresende noch einmal um etwa 4000 Betten ab. Gab es ein Hochwasser oder sind Kliniken abgebrannt? Nein.
Zwei Faktoren sind die Ursache: Die Schliessung von Kliniken und der Mangel an Pflegepersonal. Es gibt im Netz einen Streit, wie viele Kliniken nun wirklich im Jahr 2020 geschlossen wurden: 13, 19, 20 oder 21. Fakt ist: Es wurden Kliniken geschlossen, und damit gingen auch Intensivbetten verloren.
Auch das ist nichts Neues. Schon seit 1991 werden vor allem kleinere Kliniken in der Hand von Konzernen, Aktiengesellschaften und Unternehmensgruppen regelmässig geschlossen. Zweck: Steigerung des Profits. Das Ziel einer Klinik in privater Hand ist nicht Gesundheit, sondern Rendite. Diese Konzerne erhalten prominente Rückendeckung aus der Politik.
Warum gibt es gerade zum Ende des Jahres 2020 eine Abnahme der Intensivbetten? Die Erklärung könnte das Krankenhausfinanzierungsgesetz sein. Demnach konnten Kliniken zwischen dem 18. November 2020 und dem 31. Januar 2021 Ausgleichszahlungen erhalten - aber nur, wenn die Auslastung ihrer Intensivstation mindestens 75 Prozent betrug. Es hat sich also finanziell gelohnt, nicht belegte Betten abzumelden.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) legt offenbar Wert auf die Betonung dramatischer Zustände auf deutschen Intensivstationen. So wird die Notfallreserve (immerhin stetig über 10’000 Betten) in den täglichen Situationsberichten nicht erwähnt. Darüber hinaus werden ab dem 4. März 2021 die Betten für Kinder auf den Intensivstationen herausgerechnet.
Bis zum 3. März 2021 ist im Situationsbericht des RKI einfach von «Intensivbetten» die Rede. Danach ist von «Intensivbetten (Low- und High-Care) als betreibbar gemeldet für Erwachsene» die Rede. Dieser kleine Trick führte auf dem Papier zu einer Verringerung der Intensivbetten um 2810 von einem Tag auf den anderen. Eine Erklärung wird nicht mitgeliefert. (Wir verdanken diese Info einem sehr aufmerksamen Leser, vielen Dank!)
Das RKI kommt damit am 12. Mai auf nur 2764 freie Intensivbetten. Wenn man die Notfallreserve und die Kinderbetten berücksichtigt, kommt man jedoch auf über 13’000 freie Betten.
Fazit:
- Es gab bisher zu jeder Zeit in Deutschland mindestens 2700 freie Intensivbetten plus eine Reserve von 10’000 Betten. Das Gesundheitssystem insgesamt war nie überlastet.
- Es gibt einen Mangel an Pflegekräften, nicht nur in Krankenhäusern, auch in der Altenpflege. Diese Situation könnte sich noch verschlimmern. Pflegekräfte werden schlecht bezahlt und haben schlechte Arbeitsbedingungen. Konkrete politische Massnahmen dagegen sind uns nicht bekannt – das Geld wäre vorhanden, man denke nur an die grosszügigen Unterstützungen für Pharmakonzerne und vom Lockdown betroffene Konzerne.
- Es gibt Patienten mit positivem PCR-Test auf den Intensivstationen. Aber die eigentliche Ursache der Missstände in den Krankenhäusern liegt woanders. Strenge Lockdown-Massnahmen sind weder geeignet, die Versorgung von Patienten zu verbessern, noch die Anzahl der Patienten zu verringern.
- Es gibt schon seit vielen Jahren den Trend, Kliniken zu privatisieren, kleine Kiniken zu schliessen und alles auf grosse Kliniken zu konzentrieren. Grosse Betriebe sind rentabler. (Diese Entwicklung sieht man zum Beispiel auch bei der Tierproduktion: Grosse Fabriken mit 10’000 Schweinen sind rentabler als viele kleine Bauernhöfe.)
- Das RKI legt offenbar Wert auf die Betonung dramatischer Zustände auf deutschen Intensivstationen.