«Wenn sich Autoreifen abnutzen, löst sich der Gummi in Partikel auf, und zwar sowohl in Teile, die mit bloßem Auge zu erkennen sind, als auch in Mikropartikel. Dabei können bis zu einer Billion ultrafeiner Partikel pro Kilometer freigesetzt werden, wie Tests von Emissions Analytics ergeben haben.» Das schreibt The Defender in dem Artikel mit der Headline «‹Chemical Cocktail› From Car Tires Linked to Fish Kills, Human Health Concerns» («Chemikaliencocktail» aus Autoreifen wird mit Fischsterben und menschlichen Gesundheitsproblemen in Verbindung gebracht).
Viele der Partikel aus diesem «chemischen Cocktail» würden Schwermetalle und die giftige Chemikalie 6PPD, die das Leben im Wasser und die menschliche Gesundheit schädigen können, enthalten. Gefährlich sei dies insbesondere für diejenigen, die entlang von Straßen leben oder arbeiten. The Defender:
«Jahrzehntelang konzentrierte sich die Besorgnis über die Verschmutzung durch Kraftfahrzeuge auf das, was aus dem Auspuff kommt. Jetzt, so sagen Forscher und Aufsichtsbehörden, müssen wir den giftigen Emissionen aus den Reifen mehr Aufmerksamkeit schenken, wenn die Fahrzeuge auf der Straße rollen.
Ganz oben auf der Liste der Bedenken steht eine Chemikalie namens 6PPD, die Gummireifen zugesetzt wird, damit sie länger halten.»
Wenn sich die Reifen auf der Fahrbahn abnutzen, werde 6PPD freigesetzt. Es reagiere mit Ozon zu einer anderen Chemikalie, 6PPD-Chinon, die extrem giftig sein könne – so sehr, dass sie mit wiederholtem Fischsterben im Bundesstaat Washington in Verbindung gebracht worden sei.
In einer kürzlich in der Zeitschrift Environmental Science & Technology Letters veröffentlichten Studie seien in Urinproben aus einer Region Südchinas hohe Konzentrationen von 6PPD-Chinon gefunden worden, wobei die Werte bei schwangeren Frauen am höchsten gewesen seien.
Tests des britischen Unternehmens Emissions Analytics hätten ergeben, dass die Reifen eines Autos 1 Billion ultrafeine Partikel pro gefahrenen Kilometer ausstoßen – das seien 5 bis 9 Pfund Gummi pro Auto mit Verbrennungsmotor pro Jahr. Und was in diesen Partikeln stecke, sei ein Rätsel, denn die Inhaltsstoffe der Reifen seien Geheimsache. Dazu Nick Molden, CEO von Emissions Analytics:
«In diesen Reifen befindet sich ein chemischer Cocktail, den niemand wirklich versteht und der von den Reifenherstellern streng vertraulich behandelt wird. Wir können uns kaum ein anderes Verbraucherprodukt vorstellen, das in der Welt so weit verbreitet ist und von praktisch jedem verwendet wird, bei dem so wenig darüber bekannt ist, was darin enthalten ist.»
Die Aufsichtsbehörden hätten erst begonnen, sich mit dem Problem der giftigen Reifen zu befassen, obwohl es bereits einige Maßnahmen in Bezug auf 6PPD gegeben habe.
Die Chemikalie sei von einem Forscherteam unter der Leitung von Wissenschaftlern der Washington State University und der University of Washington identifiziert worden. Diese hätten herauszufinden versucht, warum die zum Laichen in die Bäche in der Gegend von Seattle zurückkehrenden Coho-Lachse in großer Zahl starben.
Im Auftrag des Washington Stormwater Center hätten die Wissenschaftler etwa 2.000 Substanzen getestet, um herauszufinden, was die Ursache für das Fischsterben war. 2020 hätten sie dann bekannt gegeben, dass sie den Schuldigen gefunden hätten: 6PPD.
Der Yurok-Stamm in Nordkalifornien habe zusammen mit zwei anderen Indianerstämmen der Westküste bei der US-Umweltschutzbehörde EPA ein Verbot dieser Chemikalie beantragt. Die EPA habe erklärt, sie erwäge neue Vorschriften für diese Chemikalie. Joseph L. James, Vorsitzender des Yurok-Stammes:
«Wir können nicht tatenlos zusehen, wie 6PPD die Fische tötet, die uns ernähren. Dieses tödliche Gift hat in keinem lachsführenden Wassereinzugsgebiet etwas zu suchen»
Kalifornien habe erste Schritte zur Regulierung der Chemikalie unternommen und im vergangenen Jahr Reifen, die diese Chemikalie enthalten, als «prioritäres Produkt» eingestuft, was die Hersteller verpflichte, nach Ersatzstoffen zu suchen und diese zu testen.
Laut The Defender hat die U.S. Tire Manufacturers Association nach eigenen Angaben ein Konsortium von 16 Reifenherstellern mobilisiert, um eine Analyse der Alternativen durchzuführen.
Kalifornien prüfe auch einen Antrag der California Stormwater Quality Association, Reifen, die das Schwermetall Zink enthalten, als «prioritäres Produkt» einzustufen und die Hersteller zu verpflichten, nach einer Alternative zu suchen. Zink werde im Vulkanisierungsprozess verwendet, um die Festigkeit des Gummis zu erhöhen.
«In Bezug auf Reifenpartikel wurde jedoch nichts unternommen», so The Defender, «auch wenn sich das Problem mit der Verbreitung von Elektroautos verschärft. Aufgrund ihrer schnelleren Beschleunigung und ihres größeren Drehmoments verschleißen Elektrofahrzeuge die Reifen schneller und stoßen schätzungsweise 20 Prozent mehr Reifenpartikel aus als ein durchschnittliches Auto mit Benzinmotor.» Und weiter:
«Eine kürzlich in Südkalifornien durchgeführte Studie ergab, dass Reifen- und Bremsenemissionen in Anaheim für 30 Prozent des PM2,5, eines kleinen Luftschadstoffs, verantwortlich sind, während die Abgasemissionen 19 Prozent ausmachen. Tests von Emissions Analytics haben ergeben, dass Reifen eine bis zu 2.000-mal höhere Partikelverschmutzung verursachen als Auspuffrohre.
Diese Partikel gelangen ins Wasser und in die Luft und werden oft mit der Nahrung aufgenommen. Ultrafeine Partikel, die noch kleiner als PM2,5 sind, werden ebenfalls von Reifen emittiert, können eingeatmet werden und gelangen direkt ins Gehirn.»
Neue Forschungsergebnisse würden nahelegen, dass Mikropartikel aus Reifen als besonders besorgniserregender Schadstoff eingestuft werden sollten. In einem im vergangenen Jahr veröffentlichten Bericht erklärten Forscher des Imperial College London, die Partikel könnten Herz, Lunge und Fortpflanzungsorgane schädigen und Krebs verursachen.
Laut einem Bericht des Pew Charitable Trusts und des britischen Unternehmens Systemiq würden mehr als 75 Prozent des Mikroplastiks, das in die Ozeane gelange, aus dem synthetischen Gummi der Reifen stammen. The Defender weiter:
«Es gibt noch viele Unbekannte bei den Reifenemissionen, deren Analyse besonders komplex sein kann, da Hitze und Druck die Bestandteile der Reifen in andere Verbindungen umwandeln können.
Die Probleme mit Reifen hören damit nicht auf. Reifen bestehen in erster Linie aus Natur- und Synthesekautschuk, enthalten aber noch Hunderte von anderen Bestandteilen, darunter häufig Stahl und Schwermetalle wie Kupfer, Blei, Kadmium und Zink.»
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