Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis hat am Dienstag eine 15-köpfige Delegation von Landwirten empfangen, einschliesslich dem zuständigen Minister. In den sozialen Medien betonte Mitsotakis, dass die Regierung bestrebt sei, einen Kompromiss mit den Landwirten zu finden. Er machte jedoch keine konkreten Versprechen und stellte die Bedingung, dass die Landwirte die Nationalstrassen des Landes nicht blockieren dürfen.
Trotz dieser Warnung haben einige Landwirte bereits symbolische Blockaden auf wichtigen Strassen errichtet. Die Bauern protestieren gegen die hohen Kosten für Treibstoff und landwirtschaftliche Materialien. Mitsotakis hatte zwar erklärt, dass die Regierung sich verstärkt dafür einsetze, dass in Griechenland verarbeitete Produkte mit ausländischen Rohstoffen nicht als griechisch deklariert und verkauft werden. Doch das reicht den Landwirten nicht.
Regierungssprecher Pavlos Marinakis betonte nach dem Treffen, die Regierung sei zuversichtlich, dass eine Deeskalation gelingen könne. Aus landwirtschaftlichen Kreisen hörte man allerdings, dass das Treffen zwar freundlich, aber ohne greifbare Ergebnisse zu Ende gegangen sei.
Die Oppositionspartei SYRIZA macht darauf aufmerksam, dass die Landwirtschaft die Lebensmittelversorgung in Griechenland sicherstelle und den sozialen Zusammenhalt gewährleiste. Mitsotakis traf am Dienstag auch mit Vertretern des Panhellenischen Komitees der Landwirte und dem Vorstand des Nationalverbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften zusammen, um die laufenden Proteste und vorgeschlagenen Erleichterungsmassnahmen zu besprechen.
Die Forderungen der Landwirte
In den griechischen Medien waren schon hämische Kommentare zu lesen wie: «Nun protestieren die deutschen Bauern und wir haben Ruhe – wie sich die Zeiten ändern.» Aber die Ruhe war trügerisch.
Die Bauernproteste begannen in Thessalien, wo das Unwetter Daniel im Herbst Haus und Heim von vielen Bauernfamilien vernichtet hat. Sie verbreiteten sich dann ab Ende Januar im ganzen Land. Die Regierung hat bereits gewisse Entlastungsmassnahmen angekündigt, jedoch argumentiert, dass die verfügbaren Ressourcen erschöpft seien und weitere Schritte von der fiskalischen Situation abhängen.
Die Landwirte fordern unter anderem einen staatlich festgelegten Preis für Agrarstrom, Subventionen für Agrardiesel und höhere Entschädigungen bei Naturkatastrophen. Die Bauern sehen sich ausserdem durch die neue Gemeinsame Agrarpolitik der EU benachteiligt und fordern, dass diese in Griechenland nicht umgesetzt wird.
Die Regierung hat bereits einige Erleichterungen angekündigt, darunter einen Preisnachlass für Agrarstrom und die Senkung der Mehrwertsteuer auf Tierfutter und landwirtschaftliche Maschinen. Trotzdem eskalieren die Blockaden, und die Landwirte drohen damit, Strassen zu blockieren und mit Traktoren nach Athen zu fahren, falls ihre Forderungen nicht erfüllt würden.
Wie sind diese Proteste zu bewerten? Und kann man sie vergleichen mit den Bauernprotesten in Deutschland oder Frankreich? Ein Wirtschaftsblog suggeriert, dass die griechischen Bauern sehr gut unterstützt werden, und empfiehlt den deutschen Landwirten praktisch, in Griechenland neu anzufangen.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Tatsächlich gibt es gewisse Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Auffällig ist zunächst, dass in Griechenland rund 11 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig sind, in Deutschland hingegen nur 2 und in der Schweiz 3,1 Prozent.
Die durchschnittliche Betriebsgrösse liebt bei 4,5 Hektar (ha.), während es in Deutschland 73 ha sind und in der Schweiz 21 ha. In Deutschland haben wir es entsprechend schwergewichtig mit Grossbetrieben zu tun. Die Landwirtschaft in Griechenland hingegen ist immer noch kleinteilig und familiär organisiert, verfügt über eine geringe Produktivität und hat eine lokale Ausrichtung.
Das hat Vor- und Nachteile. Einerseits findet man dort immer noch viele Dinge direkt beim Bauernhof, die vor allem in Deutschland nur noch im Supermarkt in standardisierter Qualität erhältlich sind. Ich finde zum Beispiel in unserem Dorf noch ein Poulet von einem Hahn, der richtig gekräht hat oder von einer Henne, die nicht bereits nach 35 Tagen geschlachtet wurde, was selbst in der Schweiz schwierig ist.
Andererseits hat die kleinbäuerliche griechische Struktur grosse Nachteile: Dinge, für die Weltmarktpreise bezahlt werden wie Olivenöl, können in Spanien oder Italien billiger produziert werden. Griechenland tut sich der geringen Produktivität wegen sehr schwer, Agrarprodukte für den Export wettbewerbsfähig zu produzieren.
Olivenöl etwa wird oft in Fässern exportiert und dann zum Beispiel in Italien abgefüllt, weil es in Griechenland schwierig ist, die Bauern für gemeinsame Projekte zur Veredelung von Produkten wie beispielsweise eine Abfüllanlage zu gewinnen. Ausserdem ist das Land bei sehr wichtigen Produkten wie Weizen, der in Ländern wie der Schweiz verstärkt im Inland produziert wird, auf Importe angewiesen, was es abhängig vom Weltmarkt macht. Gewisse Dinge wie Milchprodukte sind deshalb in Hellas praktisch genau so teuer wie in der Schweiz.
Auch den Schritt zu Nischenprodukten, für die hohe Preise bezahlt werden, hat das Land nicht gemacht. In Hellas findet sich zum Beispiel praktisch nur noch industriell hergestelltes Joghurt, während man auf dem Wochenmarkt in Bern bestes griechisches Joghurt vom Emmentaler Bauernhof findet.
Entwicklung der griechischen Landwirtschaft
Die traditionelle griechische Landwirtschaft war noch in den Siebzigerjahren im Gleichgewicht. Es herrschte eine traditionelle Kultur der Selbstversorgung und des nachhaltigen Umgangs mit natürlichen Ressourcen. Griechische Produkte waren an der Grenze geschützt. Ausländische Waren gab es praktisch nicht. Wer Bananen aus Kreta nicht mochte, ass gar keine.
Das traditionelle System der Tierhaltung basierte auf Erfahrung und gesundem Menschenverstand, also auf dem Wissen darüber, wie viel Vieh in einem bestimmten Gebiet gehalten werden kann, zu welchen Jahreszeiten die Tiere woanders hingetrieben werden müssen, um Überweidung zu vermeiden und das Ökosystem zu erhalten. Die Überreste dieses traditionellen Viehwirtschaftssystems sind heute noch auf den Inseln sichtbar, mit Trockenmauern und gepflasterten Strassen.
1980 trat Griechenland der Vorgängerorganisation der EU bei – und übernahm die gemeinsame Agrarpolitik. Diese war buchstäblich eine Schuhnummer zu gross für Hellas!
Diese Politik zerstörte das alte, nachhaltige Bewirtschaftungssystem, indem sie falsche Anreize setzte. Den Bauern wurde zum Beispiel eine jährliche Subvention für jedes Schaf und jede Ziege versprochen, unabhängig von der Tragfähigkeit der Umgebung. Dies führte zu einem Anstieg der Züchter und einer Überpopulation von Tieren, was wiederum zu Überweidung und Bodenerosion führte.
Die Bauern produzierten nicht das, was sinnvoll war und seit Jahrhunderten gepflegt wurde, sondern das, was am meisten Subventionen versprach. Und das war sehr oft das ökologisch und ökonomisch falsche.
Die negativen Auswirkungen dieser Politik betrafen nicht nur die Umwelt, sondern auch die Bauern, die aufgrund von mangelndem Weideland auf teures importiertes Futter zurückgreifen mussten, oft von minderer Qualität. Nur an wenigen, nicht touristischen Orten wird noch die traditionelle, nachhaltige und extensive Tierhaltung praktiziert, wie zum Beispiel auf Skyros in den Sporaden, wo schmackhaftes Ziegenfleisch produziert wird.
Ab 1980 flossen die Subventionen, die Landwirte wurden deutlich wohlhabender. An touristischen Orten bauten sie sich auch ein zweites Standbein auf mit Zimmervermietung, kleinen Tavernen und ähnlichem.
Leider floss und fliesst aber praktisch alles zusätzliche Geld in den Konsum. Es wird kaum in den Bauernbetrieb investiert. Die Bewässerungssysteme sind ineffizient wie eh und je, die Felder klein und vieles wird komplett von Hand gemacht, das mechanisiert werden könnte.
Zusätzlich hat der Zustrom von albanischen Einwanderern in den 1990er Jahren für billige Arbeitskräfte gesorgt, was jede Motivation für Innovationen nahm.
Die Landwirte bauten sich hingegen sehr oft neue Häuser, kauften teure Autos und schickten ihre Kinder – koste es, was es wolle – an eine Universität, die in Griechenland in allen Landesteilen aus dem Boden gestampft wurden, deren Niveau aber allzu oft fraglich ist.
Der Weg in die Stadt – und zurück
Sehr schnell setzte dann Landflucht ein. Eine Zukunft auf dem Land und in der Landwirtschaft konnten sich immer mehr Griechinnen und Griechen nicht mehr vorstellen.
Dann schlug die Finanzkrise mit voller Wucht zu. Nach 2010 brach die Wirtschaftsleistung dramatisch ein. Der Einbruch, gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP), war stärker als zum Beispiel in Deutschland in den 30er Jahren – mit dem Unterschied, dass es seither verhältnismässig wenig aufwärts ging und das Land seit der «Corona-Zeit» zu allem Übel von einer hohen Inflation geplagt wird.
Das führte zu einer gewissen Umkehrung der Landflucht. Immer mehr Menschen, die in der Stadt ihre Jobs verloren, suchen ihr Glück auf dem Land – und bebauen seither das vergandete Feld des Grossvaters oder den Olivenhain des Vaters. Es sind dann auch diese Neobauern, die die eine oder andere innovative Idee aus der Stadt aufs Land brachten – ohne dass daraus aber schon ein Trend geworden wäre.
Leider scheint es mit der Umkehr der Landflucht auch mehr oder weniger vorbei zu sein. Und das Gros der Bauern scheint ihr Heil nach wie vor in Subventionen des Staates zu suchen. Es ist wahr: Diese fliessen in Griechenland recht grosszügig, obwohl die Landwirte das natürlich anders sehen. Aber sie führen eben auch zu Fehlanreizen.
Ob es empfehlenswert ist, wenn deutsche Bauern nach Hellas umziehen, wie der genannte Blog suggeriert, muss jeder selbst beurteilen. Aber ein einfacher Beruf ist die Landwirtschaft auch in Griechenland nicht.