Es war eine Demo «für alle, die in Frieden und Selbstbestimmung leben wollen», vergangenen Samstag in Göppingen. Und es gab Grund genug für eine solche Demo. Drei wesentliche hatte ich in meiner Rede aufgeführt, um die derzeitigen Dimensionen deutlich zu machen: gesamtpolitisch, gesellschaftlich und den einzelnen betreffend.
«Wer die Augen verschließt, der denkt verkehrt», heißt es in der Bibel (Sprüche 16,30). Der erste Schritt hin zu «Frieden und Selbstbestimmung» besteht in dem Mut, die Augen aufzumachen für die Dinge um einen herum. Zu einer entsprechenden Haltung, auch Körperhaltung, fordert Jesus sogar explizit auf:
«Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht»; Lukas 21,28.
Jenseits von schäbiger Nervenkitzelei nehmen wir zur Kenntnis, dass fast 100.000 Nato-Soldaten sich an einer sogenannten «Ostflanke» aufgereiht haben. Aber keine Angst, die schießen nicht, die wollen nur spielen − Krieg nämlich.
Wir nehmen zur Kenntnis, dass der bestehende Krieg mit weiteren Raketen und neuen Milliarden gefüttert wird und daß die Amis im Westen Deutschlands seit bald zehn Jahren das größte Armee-Krankenhaus außerhalb ihres eigenen Landes aufbauen.
Wir hören hin, wenn ein machttrunkener deutscher General zu einer «Kriegstauglichkeit» auffordert, und zwar nicht nur «seine» Leute, sondern explizit auch die Bevölkerung.
Wir nehmen das wahr, aber wir sagen von innen heraus: Nicht mit uns! Nach außen hin bringt so eine Affirmation zunächst nicht viel, aber sie hilft uns, den eigenen Stand einzunehmen und Herz wie Haupt nicht zu senken.
Zum länderübergreifenden Unfrieden gesellt sich der gesellschaftliche. Zersplittern und Teilen ist Politik geworden. Heraus kommt eine ebenso haltlose wie formbare Masse, die mit einem neuen Kitt wieder zusammengefügt werden soll: einer fremdbestimmten «Haltung». Ein feines Büchlein schon aus dem Jahr 1989 bringt das auf den Punkt: Hermann Lübbe, Politischer Moralismus. Vom Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft. Eine solche Haltung bewirkt kein erhobenes Haupt.
Oder wie es vor kurzem der Jurist Ulrich Vosgerau ausgedrückt hat: «Mentalität schlägt Verfassungsrecht». Moralismus ist der neue Volkssport, Volksglaube, geworden, kräftig propagiert auch von Kirchenleuten. Das gute alte Wort Nächstenliebe wird mit böser neuer Haltung gefüllt: Spritzen, Waffen, Ausgrenzung, «Kuschelecken» für Kleinkinder − alles Ausgeburten neubestimmter «Nächstenliebe».
Wir halten das aus, diesen ganzen Blick aufs Geschehen, wenn unser Haupt erhoben ist und erhoben bleibt.
Auf einer dritten Ebene greift der Unfrieden um sich: in der Verwirrung der einzelnen Person. Leute aus meiner Generation können ja noch den Kopf schütteln über den neusten Irrsinn in Gesetzesform; jüngere hingegen verwirrt es zutiefst. «Wer oder was bin ich denn eigentlich? Als wen oder was hab ich mich vielleicht aufs neue zu erschaffen?» Das laute Schweigen der Kirchen zu diesem diabolischen Durcheinander macht ihre Leiter zu Mittätern.
- Wir sagen von weit innen heraus: «Nicht mit uns; wir wollen das nicht!», und entziehen mit so einem gemeinsamem Bekenntnis unsere eigene Seele dem Tiefenstrudel.
- Was wir hingegen wollen, das ist ein freies Denken und ein befreites Reden, ohne Schielen auf amtliche oder gar nachbarschaftliche Verleumdungen.
- Wir wollen ohne fremde Muster oder gar schon eigene Reflexe in Frieden und Selbstbestimmung miteinander leben.
Wir sind nicht auf der Welt, um als Untertanen Regeln einzuhalten. Wir sind dazu da, um nach den Regeln und Gesetzen des Friedens zu leben. Wo solche Vorgaben aber sich gegen das Leben und gegen den Frieden wenden, dürfen und müssen wir uns im Zweifelsfall darüber hinwegsetzen.
In einem anderen Büchlein wird genau um diese Frage gerungen: Wann und wie und wo wäre das geboten? Der bezeichnende Titel lautet «Brot und Gesetze brechen»; es stammt aus dem eher linken Spektrum und ist äußerst lesenswert. Inhaltlich geht es darin um nichts anderes, als was Staatsbediensteten jeglicher Couleur als ihr eigenes Remonstrationsrecht bekannt ist oder bekannt sein sollte. Menschen mit Gewissen kommen an einem solchen Abwägen nicht vorbei.
Wir wollen, wir brauchen dafür ein eigenes Fundament. Ohne dem wagen wir es ja kaum, solche Fragen überhaupt zu stellen, geschweige denn, sie gegen eine empfundene Mehrheit zu beantworten.
Remonstration, das heißt auf biblisch: «Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen»; Apostelgeschichte 5,29. Nur ein freies, ein wieder befreites Gewissen gibt uns den Mut und die Kraft, den neu erhobenen Kopf im Zweifelsfall auch hinzuhalten.
Ein solches Gewissen ist das erwähnte Fundament. Wir bekommen es in der Rückbindung an den, der wie kaum ein anderer dem Bösen ins Auge schauen musste, freiwillig geschaut hat: an Jesus Christus. Und er war damit nicht gescheitert. Gott selbst hat ihn von den Toten auferweckt.
Was das mit uns zu tun hat? Nun, das neue Leben des Christus ist der neue Geist unserer erhobenen Häupter, der heilige Geist. Lesen Sie die Auferstehungs-Erzählungen in den Evangelien (jeweils in deren letztem Kapitel) und eine beliebige Seite eines Briefes, etwas weiter hinten im Neuen Testament.
Wir fordern evidenzbasierte Wissenschaft. Gut. Dann wollen wir auch für diesen Glauben die Probe eigener Evidenz machen − zu Gottes Ehre und zu unserem Frieden.
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