Die mittlerweile vier Jahre währende Krisenzeit ist auch die Stunde der Fotografen. Wie andere Künstler dokumentieren und kommentieren sie die politisch-gesellschaftliche Entwicklung. Sie fangen erlebte Geschichte ein und begeben sich in das Getümmel des Protests, der seit den Corona-Massnahmen über deutsche Strassen rollt.
Aber anders als etwa Musikern, Aktivisten oder Bloggern kommt ihnen nicht die Aufmerksamkeit zu, die sie verdienen. Denn ihre Bilder sind nicht bloss einfache Momentaufnahmen, sondern ästhetisch hochwertige Kunstwerke. Sie lenken den Blick auf Details, die in der Hitze der öffentlichen Aufregung oftmals übersehen werden. Welche das sind, veranschaulichen die Fotografien Sandra Doornbos’.
Sie gehört zu den wenigen Frauen, die die zahlreichen Proteste der jüngsten Vergangenheit mit ihrer Kamera begleitet haben. Vergleicht man ihre Arbeiten mit denen der männlichen Kollegen, offenbart sich ein spezieller Ansatz. Doornbos konzentriert sich auf die positiven Aspekte, auf Einzelheiten, die Hoffnung verbreiten, selbst wenn die Szenerie zunächst genau das Gegenteil vermuten lässt. Die Fotografin aus der Nähe von Osnabrück macht es dezent und leise. Sie spielt geschickt mit der Doppeldeutigkeit, damit die Betrachter aktiviert werden, ihrer Wahrnehmung die eine oder andere Richtung zu geben.
Negative Aspekte werden durch positive überlagert
Ein gutes Beispiel ist das Bild «Helfende Hände». Zu sehen ist ein Demonstrationsteilnehmer, der nach einem Reizgas-Einsatz der Polizei am Boden liegt. Das schmerzverzerrte Gesicht lässt die Gewalt und die aggressive Stimmung dieser Protestsituation erkennen. Allerdings bekommt der Mann Unterstützung von anderen Teilnehmern. Auf dem Bild kommen aus allen Richtungen Hände, die sich um den Verletzten kümmern, ob sie nun mit einem Tuch über das Gesicht gleiten, Trost spenden oder Geborgenheit schenken.
Bild: Sandra Doornbos
Der negative Aspekt wird hier von einem positiven überlagert, genauso wie auf den Bildern, die Doornbos in vielen Städten während der Protestzüge geschossen hat. Als dort tausende Menschen durch die Strassen zogen, um gegen die Corona-Politik zu demonstrieren, konzentrierte sich die Fotografin auf Menschen abseits des Geschehens. Sie standen am Rand oder beobachteten den Protestzug vom Fenster aus. Auf Doornbos’ Bildern werden sie jedoch zu Teilnehmern, indem sie beispielsweise ein aufmunterndes Lächeln schenken oder mir den Händen ihre Solidarität kundtun.
Ständig in Bewegung
Menschen stehen oftmals im Vordergrund ihrer Arbeiten. «Sie fotografiere ich am liebsten», sagt sie, «aber nicht um sie vorzuführen». Viel eher gehe es ihr um deren Gefühlsregungen. «Meistens geben sie mehr von sich preis, wenn sie denken, dass sie nicht beobachtet werden», erklärt Doornbos. Deswegen arbeite sie gerne mit einem Teleobjektiv. Wenn die Fotografin ein geeignetes Motiv durch das Fenster ihrer Kamera erblickt, beobachtet sie es aus verschiedenen Perspektiven. Anders als bei inszenierten Fotografien bewegt sie nicht die Subjekte vor ihrer Linse, sondern sich selbst. «Auf den Demonstrationen habe ich das Laufen gelernt», sagt die 50-Jährige scherzhaft.
Ebenso achtet sie auf die Lichtverhältnisse und den Hintergrund. Dieser müsse immer zum Motiv passen, so Doornbos. Allerdings wolle sie nichts erzwingen, sondern gehe intuitiv vor. Gleiches gilt für die farbliche Gestaltung. Schwarz-Weiss-Fotografien findet man in ihrem Portfolio eher selten. Farben seien ihr wichtiger, sagt sie: «Weil wir die Szenen auch in Farbe sehen.» Manche Bilder wirkten jedoch in Schwarz-Weiss besser, so Doornbos, die ihr Handwerk seit 2008 professionell betreibt.
Demonstrationen in Frankreich
«Ich wollte schon immer das einfangen, was ich sehe», erklärt sie ihren Wunsch, diesen Beruf zu ergreifen. «Was ich in diesem Moment sehe, will ich als Bild festhalten.» Angeeignet hat sie sich das Handwerk autodidaktisch. Dazu gehört es auch, herausfordernde Situationen zu suchen. Doornbos fand sie auf den Protesten gegen die Corona-Politik, aber auch in Paris, wo im April letzten Jahres Tausende Menschen gegen die Rentenreform des französischen Präsidenten Emmanuel Macron demonstrierten. Dort wurden ihr schlagartig die Unterschiede zu Deutschland bewusst. Sie erinnert sich:
«In Frankreich geht es richtig zur Sache. Als Fotografin steht man dort mitten im Mob und kann sich kaum bewegen. Es werden Sachen herumgeschmissen; das Polizeiaufgebot ist riesig, und in der Luft liegt Reizgas.»
Diese Szenen hat Doornbos in einer Foto-Serie dokumentiert. Dabei sind Gewalt-Motive nicht ihr Metier. Während männliche Kollegen oftmals gerade die aggressive Stimmung einfangen wollen, fühlt sie sich davon abgestossen. Die ablehnende Haltung der Polizisten möchte sie selber nicht einnehmen. Sie stellt lieber das Gute in den Fokus.
Botschaften auf Transparenten
Was sie jedoch mit vielen männlichen Kollegen teilt, ist das Interesse an Schildern und Plakaten. Auf ihrer Homepage finden sich etliche Bilder von Menschen, die auf Transparenten George Orwell zitieren, die 3G-Regeln kritisieren oder in kreativer Weise mit Worten spielen. Derartige Botschaften bildeten den Zeitgeist ab, erklärt Doornbos ihre Motivation. «Wenn man die Fotos in zwanzig Jahren anschaut, weiss man, was damals los war und was gefordert wurde», sagt sie.
Bild: Sandra Doornbos
Durch diesen Ansatz bewegen sich ihre Arbeiten zwischen Kunst und Journalismus. Auf den Demonstrationen hat sich Doornbos als Fotografin gewissermassen neu erfunden. Wie viele Kulturschaffende war sie im Frühjahr 2020 gezwungen, ihren Beruf lange Zeit auf Eis zu legen. Als dann unzufriedene Bürger immer häufiger und in stets grösserer Zahl auf die Strasse zu gehen begannen, wollte auch sie Gesicht zeigen.
Nach mehreren Teilnahmen nahm Doornbos schliesslich auch ihre Kamera mit. «Das fühlte sich wie ein Comeback an», beschreibt sie diesen Moment. Sie hatte Feuer gefangen und kann bis heute nicht auf eine Demonstration gehen, ohne zu fotografieren. Derzeit verfolgt sie mit ihrer Kamera die bundesweiten Bauernproteste. Einige dieser Bilder sind bereits auf ihrer Homepage zu sehen.
Bild: Sandra Doornbos
Wer sich für Doornbos’ Fotografie interessiert, wird jedoch nicht nur dort fündig. Einzelne Werke wurden zudem in den beiden Katalogen des Künstlerkollektivs IAFF veröffentlicht. Zudem plant Doornbos, einen Bildband zu veröffentlichen, den sie mit einem Begleittext versehen möchte. Dieser soll nicht nur Erfahrungsbeschreibungen enthalten, sondern auch Reflexionen und Sinnsprüche, die die Fotografin selber formuliert hat. Einer von ihnen lautet:
«Obwohl die Welt um mich herum immer grausamer wurde, konnte ich immer deutlicher das Schöne sehen.»
Das Schöne, das ist in Doornbos’ Augen Würde, Liebe, Freundschaft und Zusammenhalt.