«Singles, die für das geliebt werden wollen, was sie sind, und nicht dafür, wie sie aussehen. Wer traut sich?» So wirbt zum Beispiel die TV-Reality-Show «Love is blind» – Liebe ist blind – um Teilnehmer. Doch um Reality – also Wirklichkeit – scheint es selbst bei Unterhaltungssendungen wie dieser nicht mehr zu gehen.
«Eigentlich besetzt man recht nah am Leben – ein Zuhälter etwa kommt also wirklich aus diesem Milieu», erzählt Susanne Schmidt (Name geändert), die seit 25 Jahren als Casting-Redakteurin arbeitet. «Deshalb haben wir schon immer ein polizeiliches Führungszeugnis von den Bewerbern verlangt. Aber seit über drei Jahren machen wir grosse Gesinnungstests – total am wirklichen Leben vorbei. Das ist eine totale Verdrehung.»
Ein Seminar über Online-Recherche habe sie besuchen müssen. Dabei sei es darum gegangen, Tools anzuwenden, mit denen sie nicht nur Social-Media-Profile durchsuchen kann, sondern zum Beispiel auch die Gesichter von Bewerbern auf Fotos erkennt, die jemand anderer gepostet hat. Sie lernte zu überprüfen, welche Social-Media-Profile einer bestimmten Telefonnummer oder E-Mail-Adresse zugeordnet sind, Facebook-Inhalte zu extrahieren, den Whatsapp-Status abzurufen und zu kontrollieren, was die Freunde und Verwandten der potenziellen Teilnehmer posten. Schmidt berichtet weiter:
«Wir lernten tatsächlich, die Gesinnung einer Person online herauszufinden, und zu sehen, wo sie einkauft. Wie die Stasi müssen wir darüber dann Protokolle anfertigen.»
«Kritische Leute, die nicht der Mainstream-Meinung folgen, soll es nicht mehr geben. Das hat mit Corona begonnen.» Die Frage nach dem Impfstatus sei essentiell gewesen. Ohne mRNA-Behandlung kein Auftritt in der Fernsehshow. Wer gar nur den Wunsch nach einem ungeimpften Partner äusserte, sei abgelehnt worden. Auch von allen Tätowierungen müssten die Bewerber nach wie vor Fotos vorlegen. «Was aus dem engen genehmigten Rahmen fällt, wird nicht gezeigt. Echte Vielfalt bekommt der Zuschauer nicht zu sehen.»
Neues Berufsbild: Gesinnungs-Checker
Da der sogenannte «Grosse Internet-Check» sehr viel Zeit koste, hätten die Produktionsfirmen dafür neue Mitarbeiter eingestellt, die nichts anderes machen als die Gesinnung von Menschen, die sich für Reality-Shows bewerben, anhand einer Checkliste genauestens zu überprüfen. Obwohl sonst kein Geld da sei: Auch die TV-Produktionsfirmen leiden unter der Wirtschaftskrise und den daraus resultierenden geringeren Werbeeinnahmen der privaten Fernsehsender. Laut dem Branchendienst Dwdl.de mussten sowohl der Mittelstand als auch die Industrie 2023 ihre Werbebudgets streichen. Dazu müsse der kleinere Werbekuchen mit Streaming-Diensten und Video-Plattformen geteilt werden.
Es reiche, ein Video von Alice Weidel zu posten, um als möglicher Teilnehmer einer Dating-Show abgelehnt zu werden. Selbst «wer nur die Grünen kritisiert, gilt als rechts» und ist raus. Pro Palästina, frauenfeindliche Witze oder Zweifel am Klimanarrativ – alles nichts für Reality-TV. «Für die rund 100 Euro pro Drehtag sollten sich die Leute doch lieber zehnmal überlegen, ob es das wert ist, sich so einer absurden Gesinnungsprüfung auszusetzen», meint die Casting-Redakteurin abschliessend. «Früher war es bloss die Schere im Kopf, die dafür gesorgt hat, dass Medienleute nur erwünscht geglaubte Meinungen verbreiten. Heute gehen Produktionsfirmen von Fernsehshows auf extrem sicher.»
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