Im Artikel «L’entrisme sémantique du wokisme» - ungefähr übersetzt: «Wokismus»: der semantische Eindringling», beleuchtet Nathalie Heinich die Entstehung und Ausbreitung des Begriffs «Wokismus» sowie seine Implikationen in verschiedenen sozialen und politischen Kontexten. Heinich schreibt, wie es in ihrem Milieu üblich ist, in einem eleganten, mit vielen Anspielungen gespickten Französisch. Ihre Argumentation ist nicht minder stringent und ihr Wort hat Gewicht.
Sie argumentiert, dass die Begrifflichkeit des «Wokismus» von den Anhängern selbst geprägt wurde, obwohl einige behaupten, dass das Wort von ihren Gegnern geprägt wurde, um sie zu diskreditieren. Diese Diskrepanz in der Begriffsverwendung werfe bereits einen Schatten auf die Debatte.
Der «Wokismus» wird als eine ideologische Strömung beschrieben, die sich durch die Betonung von Gemeinschaftsidentitäten und die Fokussierung auf die Opposition zwischen den «Unterdrückern» und den «Unterdrückten» auszeichnet. Dieser Ansatz, so Heinich, vereint verschiedene Bewegungen wie den Neo-Feminismus, den Dekolonialismus, die Intersektionalität, den Transaktivismus und den linken Islamismus, der häufig antisemitische Tendenzen aufweist.
Für das letztere hatte Heinich den Begriff «islamo-gauchisme» geprägt, was man ungefähr mit «linkem Islamismus» übersetzen kann – ein Phänomen, das gemäss der Soziologin in universitären Milieus weit verbreitet ist. In anderen Publikationen hatte sie sich an diesem Phänomen abgearbeitet, während es in dem hier rezensierten Essay in den «woken» Gesamtzusammenhang eingebettet wird.
Sie charakterisiert den «Wokismus» als eine Art «Totalitarismus der Atmosphäre», der sich durch seine inhärente Forderung nach moralischer Reinheit und Kontrolle auszeichnet.
Ein zentraler Punkt der Kritik von Heinich richtet sich auf das Phänomen der «semantischen Korruption», das sie als die Umkehrung positiv besetzter Begriffe zugunsten weniger progressiver Ziele beschreibt. Begriffe wie «Diversität», «Inklusion» und «Gerechtigkeit» werden laut Heinich dazu verwendet, individuelle Verdienste zu untergraben und Gemeinschaftsidentitäten zu priorisieren. Sie behauptet, dass der «Wokismus» die Idee der Gleichberechtigung und Universalität untergräbt, indem er Gemeinschaftsinteressen über individuelle Freiheiten stellt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Kritik betrifft die feministische Bewegung und andere soziale Bewegungen, die laut Heinich durch den «Wokismus» verzerrt und vereinnahmt werden. Sie argumentiert, dass der «Wokismus» den Feminismus in einen «neo-feministischen» und «inquisitorischen» Ansatz verwandelt hat, der Männer diskriminiert und rassistische Tendenzen aufweist. Ähnlich werden – immer gemäss der Autorin - LGBTQ-Rechte durch den «Wokismus» verzerrt und zu einem Mittel zur Förderung von Gemeinschaftsinteressen umgedeutet.
Heinich kritisiert auch die Verwendung bestimmter Begriffe wie «Cisgender» und «Transphobie», die dazu dienen, Kritiker zu diskreditieren und den Diskurs zu kontrollieren. Sie behauptet, dass diese Begriffe die Komplexität menschlicher Identität vereinfachen und eine schädliche «Kultur der Opferrolle» fördern.
Abschliessend fordert Heinich dazu auf, die «semantischen Fallstricke» des «Wokismus» zu erkennen und zu bekämpfen, um die demokratischen Werte der Meinungsfreiheit, Universalität und Rationalität zu verteidigen. Sie warnt davor, dass der «Wokismus» eine ernsthafte Bedrohung für den öffentlichen Diskurs und die individuellen Freiheiten darstellt, wenn er nicht rechtzeitig erkannt und bekämpft wird.
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