Der Krieg in der Ukraine gilt für Experten aus strategischer Sicht schon seit Wochen als verloren für Kiew und seine westlichen Unterstützer. Selbst in etablierten Medien wie der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) wird inzwischen ein russischer Sieg für möglich gehalten.
Dennoch wird er nicht durch Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen beendet. Verantwortlich dafür sind vor allem westliche Regierungen. Ein weiteres Beispiel dafür lieferten London und Paris am Wochenende.
Grossbritannien und Frankreich wollen «noch mehr tun, um sicherzustellen, dass wir Russland besiegen». Das haben der britische Aussenminister David Cameron und sein französischer Amtskollege Stéphane Séjourné in einem gemeinsamen Zeitungsbeitrag am Sonntag verkündet.
In der britischen Zeitung The Telegraph äusserten sich die beiden Minister aus Anlass des 120. Jahrestages der britisch-französischen «Entente Cordiale». Sie behaupten dort, wenn diese «herzliche Verständigung» aus der Kolonialzeit beider Länder erneuert werde, werde die Welt sicherer.
Schon in der Vergangenheit sei so dazu beigetragen worden, «eine bessere Welt zu schaffen», behaupten die beiden Politiker. Das wollen sie aus ihrer Sicht auch mit Blick auf den Krieg in der Ukraine erreichen. Und so schreiben sie von «unserer unerschütterlichen Unterstützung für die Ukraine».
Das bedeutet für das Land nichts weiter, als dass der Krieg fortgesetzt werden soll, denn:
«Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen. Wenn die Ukraine verliert, verlieren wir alle.»
Die beiden Minister wiederholen die durch nichts belegten Behauptungen von den «Kosten, die entstehen, wenn wir die Ukraine jetzt nicht unterstützen». Diese «werden weit höher sein als die Kosten, die entstehen, wenn wir Putin zurückdrängen.»
Sie zeigen sich «stolz» auf die Sanktionen gegen Russland und auf die Waffenlieferungen an Kiew, «bis hin zu koordinierten Lieferungen der ersten Langstreckenraketensysteme, Scalp und Storm Shadow». Dazu zählen sie auch die Ausbildung ukrainischer Piloten für die versprochenen F-16-Kampfjets.
Doch sie wollen eben «noch mehr tun, um sicherzustellen, dass wir Russland besiegen»». Die Welt werde sie verurteilen, «wenn wir versagen», glauben die beiden Politiker aus London und Paris. Dass sie dies in Erinnerung an eine «gemeinsame Verständigung» in der Kolonialzeit des 19. Jahrhunderts von sich geben, zeigt, was von dieser Art europäischer Politik zu halten und zu erwarten ist.
Dagegen macht der britische Politikwissenschaftler Richard Sakwa in einem ebenfalls am Sonntag veröffentlichten Beitrag deutlich, dass eine andere europäische Politik notwendig und möglich wäre. Während London und Paris, wie auch Berlin, längst als treue transatlantische Gesellen der USA gelten, fordert Sakwa eine neue gesamteuropäische und nichttransatlantische Sicherheitsarchitektur.
In seinem Beitrag in der Onlineausgabe der Berliner Zeitung stellt er fest:
«Die Akteure im heutigen Europa scheinen jedoch darauf bedacht, die Konfrontation aus Angst vor Schlimmerem eher zu eskalieren.»
Als Ursache dafür sieht er «die unausgewogene, unvollständige europäische Friedensordnung, die nach dem Ende des ersten Kalten Krieges um 1990 entstand». Seitdem habe sich das Instrumentarium der Konfliktbewältigung so sehr verschlechtert, «dass Krieg wie der einzige Weg aus der Sackgasse erscheint».
«Diplomatie wird als Beschwichtigung abgetan, Verhandlungen als Zugeständnis an den Feind – eine reichlich bizarre Art, internationale Auseinandersetzungen zu regeln.»
Die Situationen erinnert laut dem Politikwissenschaftler an die Zeit von 1914, «als eine lange Friedenszeit und wachsender Wohlstand vergessen liessen, dass es nur eines Funkens bedurfte, um Europa in ein Blutbad zu stürzen». Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine stellt er fest, dass der Westen im Vorfeld die Warnungen aus Moskau ignoriert habe.
Er sieht das grundlegende Problem dahinter «im Fehlen einer integrativen europäischen Sicherheitsordnung, wie sie Michail Gorbatschow schon Ende der 1980er im Sinn hatte». Das habe zuerst zu einem zweiten Kalten Krieg und dann zum Rückfall in den zwischenstaatlichen Krieg alter Schule» geführt.
Die Neutralitätserklärung der Ukraine hätte den Krieg vielleicht verhindern können, schreibt Sakwa. Doch durch die westliche Weigerung, die Moskauer Bedenken gegenüber einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ernst zu nehmen, habe es kaum Spielraum für Diplomatie gegeben.
«Am Ende waren die Westmächte bereit, die physische Existenz der Ukraine für deren Recht auf einen Nato-Beitritt aufs Spiel zu setzen. So wurde der vielleicht vermeidbarste Krieg der Geschichte unausweichlich.»
Der Politologe betont, solange Europa «in ein von den Imperativen des ersten Kalten Kriegs geprägtes atlantisches Machtsystem eingebunden ist», gebe es für die europäische Sicherheit und damit auch für den Ukraine-Krieg keine Lösung. «Europa muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen» fordert er, aber es müsse «ein anderes Europa sein – eines, das den langen Schatten des Kalten Krieges endlich hinter sich lässt».
Die Aussagen der beiden Aussenminister aus London und Paris, wie auch die aus dem Berliner Auswärtigen Amt, künden aber weiterhin vom Gegenteil. Sie wollen mehr Krieg gegen Russland – bis zum letzten Ukrainer und anscheinend darüber hinaus.
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