Das EU-Parlament hat am Mittwoch, 24. April, mit 445 Ja- und 142 Nein-Stimmen die Verordnung über den Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) verabschiedet. Befürworter sehen dies als «einen wichtigen Schritt für die digitale Gesundheitsversorgung in der EU, die den Zugang zu grenzüberschreitenden medizinischen Daten erleichtern soll».
Die Verordnung ziele darauf ab, «die Interoperabilität der Gesundheitssysteme zu fördern und die Leistungen für Patienten zu verbessern», begeistert sich beispielsweise das Portal Euractiv und lässt den kroatischen Europaabgeordneten Tomislav Sokol von der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) zu Wort kommen. Dieser behauptet, dass die neuen Regeln «wirklich lebensverändernd» sein werden.
«Das neue Gesetz wird es den Ärzten ermöglichen, schnell die Informationen zu finden, die sie aus Ihren Gesundheitsakten benötigen», schwärmt Sokol und erklärt, dass die neue Gesetzgebung auch der Forschung sowie der Entwicklung neuer Medikamente und medizinischer Geräte einen wichtigen Impuls geben werde.
Doch nicht alle EU-Abgeordneten teilen diese unkritische Sicht der Dinge. Dr. Patrick Breyer von der deutschen Piratenpartei berichtet, dass im EHDS zu allen Patienten Informationen über jede medizinische Behandlung einschliesslich Impfstatus, Medikamenten und Schwangerschaften, Labor- und Entlassungsberichten digital gespeichert und europaweit abrufbar gemacht werden – auch zu den in Deutschland bisher nicht von der elektronischen Patientenakte erfassten Privatpatienten.
Zugang sollen europaweit eine Vielzahl von Stellen erhalten können. Das von der Bundesregierung versprochene Widerspruchsrecht gegen Datenzugriffe aus dem Ausland sei nicht vorgesehen. Dr. Breyer warnt «vor einem Kontrollverlust der Patienten über sensibelste Gesundheitsdaten und einer Aufgabe des Arztgeheimnisses».
«Wir Piraten unterstützen die Idee eines EU-Gesundheitsdatenraums, aber nicht um den Preis der Aufgabe des Selbstbestimmungsrechts der Patienten und des Arztgeheimnisses zugunsten von Gesundheitsdatenabgriffen durch Regierungen, Big Pharma und Big Tech», so Breyer.
Denn es gebe nichts Intimeres als Informationen über unsere körperliche und geistige Gesundheit, einschliesslich unserer Suchtkrankheiten, psychischer Störungen, Schwangerschaftsabbrüchen bis hin zu Geschlechtskrankheiten und Reproduktionsstörungen. Wenn wir uns nicht darauf verlassen könnten, dass diese Informationen bei unseren behandelnden Ärzten sicher sind, würden sich Menschen vielleicht nicht mehr behandeln lassen.
Das könnte schlimme Folgen für unsere Gesundheit haben und sogar Suizide auslösen, konstatiert Breyer. Von einem EU-Gesundheitsdatenraum könnten grenzüberschreitende Behandlungen und Forschung zwar profitieren, aber diese Vorteile hätte man auch auf der Grundlage einer Einwilligung der Patienten und mit vollständiger Datenanonymisierung haben können.
«Die schlussendlich vereinbarte Ausgestaltung der EU-Verordnung widerspricht dem aus Umfragen bekannten Willen der Patienten. Patienten werden vor der identifizierbaren Weitergabe ihrer Gesundheitsdaten nicht gefragt und haben je nach EU-Land nicht einmal ein Widerspruchsrecht. Daten können ausserhalb der EU gespeichert werden auf Systemen ohne unabhängige Sicherheitsprüfung – all das zeigt, dass die Verordnung im Sinne maximaler Verwertung unserer persönlicher Gesundheitsdaten und nicht im Interesse der Patienten ausgestaltet worden ist. Diese Verordnung verrät im Profitinteresse der Industrie die Interessen und den Willen der Patienten, um mit ihren identifizierbaren Daten Produkte entwickeln und KI-Algorithmen trainieren zu können (…).»
Anja Hirschel, medizinische Informatikerin und Spitzenkandidatin der Piratenpartei für die Europawahl 2024, ergänzt: «Eine zentrale Datenspeicherung weckt Begehrlichkeiten in verschiedenste Richtungen. Wir sprechen dabei allerdings nicht nur von Hackerangriffen, sondern von der sogenannten Sekundärnutzung. Diese bezeichnet Zugriffe, die zu Forschungszwecke vollumfänglich gewährt werden sollen. Die Patientendaten sollen dann an Dritte weitergegeben werden.»
Aus Datenschutzsicht sei bereits das zentrale Ansammeln problematisch, bei Weitergabe wenigstens ein Opt-In Verfahren (aktive Einwilligung) richtig. Dies würde eine gewisse Entscheidungshoheit jedes Menschen über die persönlichen Daten ermöglichen. Werde allerdings nicht einmal ein Opt-Out Verfahren (aktiver Widerspruch) etabliert, so bedeute dies letztlich die Abschaffung der Vertraulichkeit jeglicher medizinischer Information. Und das obwohl Ärzte in Deutschland gemäss § 203 StGB berufsständisch der Schweigepflicht unterlägen, wie unter anderem auch Rechtsanwälte.
«Dieser Schutz unserer privatesten Informationen und das Recht auf vertrauliche Versorgung und Beratung stehen jetzt auf dem Spiel», urteilt Hirschel.
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